Von den Adrema-Werken bis zum IG Metall Bildungszentrum
Für die Zeit der Erneuerung des IG Metall Bildungszentrums am Standort Pichelssee haben wir im ehemaligen adrema-Hotel in Moabit ein Zwischenquartier gefunden. Dieses Gebäude hat nicht nur eine tolle Lage direkt an der Spree, sondern blickt auch auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurück.
1913 wurde die ADREMA Maschinenbau GmbH von den Brüdern Julius und Jakob Goldschmidt gegründet und stellte mitten im Berliner Stadtteil Moabit sehr erfolgreich Adressiermaschinen her.
Unter dem Druck des nationalsozialistischen Regimes verkaufte Julius Goldschmidt das Unternehmen 1935 an die Mercedes Büromaschinen-Werke GmbH. Während des Krieges produzierte die ADREMA Kriegsgerät und beschäftigte Zwangsarbeiter. 1944 wurden die Gebäude durch Fliegerbomben schwer zerstört.
Nach dem Krieg konnte das ADREMA-Werk wieder aufgebaut werden, Produktion und Instandsetzung von Adressiermaschinen wurden wieder aufgenommen und verzeichneten auch international Erfolge. Diese Phase als attraktiver Arbeitgeber währte bis 1975 – dann wurde das Werk geschlossen. Die IG Metall Berlin verhandelte die nicht unerhebliche Abfindung für die Beschäftigten.
In den Räumlichkeiten eröffnete 1976 das Kaufhaus „Möbel Adam“.
2003 gab es die nächste Veränderung, die Gebäude wurden um- und teilweise neu gebaut und anschließend als Hotel genutzt. 2024 wurde es stillgelegt.
Wir konnten die Räumlichkeiten als Mieter übernehmen und passten es baulich an unsere Bedarfe an, um es ab April 2025 als Übergangsquartier für unseren Bildungsbetrieb bis zum Jahr 2028 zu nutzen.
Unsere Ausstellung im Rezeptionsbereich „Die Adrema-Werke: Mechanisierte Schrift, bewegte Geschichte“ beschäftigt sich mit der Geschichte dieses Betriebes, stellt Karriere und Schicksal der Jüdin Grete Blochs dar und informiert über den Berliner Stadtteil Moabit. Der Besuch lohnt sich!
Revolution der Bürowelt mitten in Moabit
Die im April 1913 von den Brüdern Goldschmidt1 gegründete ADREMA Maschinenbau GmbH revolutionierte die Bürowelt des frühen 20. Jahrhunderts. Durch die Verwendung von Metallplatten als Matrizen konnten Maschinen das zuvor manuell ausgeführte und mühsame Adressieren von Briefen und Briefköpfen automatisieren. Die ADREMA-Maschinen wurden bald in Büros von Verwaltungen, der Post und Banken eingesetzt. 1918 zog die in Berlin-Schöneberg gegründete
Firma nach Alt-Moabit und expandierte ins Ausland, unter anderem in die Schweiz. Bereits sechs Jahre später reichten die Kapazitäten der Produktionsstätten nicht mehr aus. Die ADREMA vergrößerte sich auf den angrenzenden Grundstücken
in der Gotzkowskystraße 20 um weitere Fabrik- und ein Verwaltungsgebäude. Im Jahr 1930 beschäftigte die ADREMA über 1.000 Mitarbeiter*innen. Dieser Erfolg unterstreicht ihre bedeutende Stellung in der Branche.
Die ADREMA war nur eine der Maschinenbauindustrien, die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Berliner Stadtteil Moabit ansiedelten. Innerhalb eines Jahrhunderts wuchs die kleine Siedlung von 127 auf etwa 190.000 Einwohner*innen, überwiegend
Fabrikarbeiter*innen und Tagelöhner, die in den um 1900 errichteten Mietskasernen unter prekären Bedingungen lebten. Mangelnde Hygiene, beengte Wohnverhältnisse, fehlendes Tageslicht, Hunger und problematische Arbeitsbedingungen prägten ihren Alltag.
„Arisierung“ und Zerstörung
1935 verkaufte Julius Goldschmidt, der Geschäftsführer der ADREMA, die Maschinenbau GmbH und die 1933 gegründete Export GmbH unter dem Druck des nationalsozialistischen Regimes an die Mercedes Büromaschinen-Werke AG. Er unterschrieb den Vertrag bereits aus seinem Exil in der Schweiz, wohin er geflüchtet war. Julius Goldschmidt war Jude und Vorgänge dieser Art nannte man „Arisierung“; nichtjüdische Unternehmer profitierten davon, dass man jüdische Unternehmer auf diese Weise zum Verkauf zwang. Die ADREMA war der „Arisierung“ der Nazis zum Opfer gefallen. Goldschmidt begann unmittelbar nach seiner Ankunft in der Schweiz mit dem Aufbau eines neuen Unternehmens. Nach seinem Tod im Jahr 1937 wurde dieses Unternehmen jedoch liquidiert.
Das Schicksal der ADREMA in Deutschland lag nun in den Händen der Nazis. Während des gesamten Krieges produzierte die ADREMA Kriegsgerät. Während der NS-Zeit entwickelte sich Berlin zu einem zentralen Rüstungsstandort. Unternehmen wie die AEG, das Röhrenwerk Telefunken und die Bewag in Moabit beschäftigten – ebenso wie die ADREMA – Zwangsarbeiter*innen, die in eigens errichteten Baracken in unmittelbarer Nähe zur ADREMA untergebracht wurden. Die Daten der Zwangsarbeiter*innen wurden auf ADREMA-Matrizen gespeichert. Noch heute werden solche Blechmarken in und um Berlin gefunden und unter anderem in den Arolsen Archives archiviert.2
In der Nacht vom 22. auf den 23. November 1944 wurde das Verwaltungsgebäude der ADREMA in der Gotzkowskystraße 20 von Flieger-Brandbomben bis auf den Keller zerstört. Auch der Dachstuhl der Fabrikhallen an der Spree brannte komplett aus. Allein in dieser Bombennacht wurden 112.000 Menschen im
Bezirk Tiergarten, zu dem damals auch Moabit gehörte, obdachlos. Was blieb, war Elend und Zerstörung.
Ein jüdisches Schicksal bei der ADREMA
Die zahlreichen jüdischen Bewohner*innen Moabits wurden vertrieben oder in Konzentrationslager deportiert. In der Levetzowstraße 7–8 (nur wenige Schritte von hier entfernt), wo 1914 eine Synagoge mit 2.100 Plätzen errichtet wurde, befindet sich heute ein Mahnmal. Es erinnert an die Zerstörung der vielfältigen jüdischen Kultur in Berlin und gedenkt der ab Oktober 1941 bis April 1945 Deportierten.
Als enge Vertraute Franz Kafkas erlangte Grete Bloch Bekanntheit; ihr Lebensweg spiegelt das Schicksal vieler Berliner Juden und Jüdinnen wider. Zwischen 1915 und 1934 arbeitete sie bei der ADREMA, stieg von der Privatsekretärin des Geschäftsführers Julius Goldschmidt zur Prokuristin auf und war eine der bestbezahlten Frauen der Weimarer Republik. Nach der Machtübertragung an die
Nationalsozialisten und der „Arisierung“ der ADREMA begleitete Grete Bloch die Goldschmidts in die Schweiz, um dort eine neue Firma aufzubauen.
Nach dem Tod von Julius Goldschmidt und der damit verbundenen Liquidierung der Firma ging Grete Bloch zunächst zu ihrem Bruder nach Palästina. Da sie dort keine geeignete berufliche Perspektive sah, blieb nur die Rückkehr nach Europa. In Florenz nahm sie eine Tätigkeit als Schreibkraft auf, jedoch zwangen politische Repressionen sie erneut zur Emigration. 1939 beantragte sie mit Unterstützung der Witwe Goldschmidts die Emigration nach England. Der Beginn des Zweiten Weltkriegs verhinderte jedoch die Ausreise. Im Jahr 1943 gelangte Grete Bloch auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in das Bergdorf San Donato Val di Comino, dessen Einwohner jüdische Flüchtlinge versteckten oder mit Lebensmitteln versorgten.
Im Frühjahr 1944 erreichten die Nazis San Donato di Comino, verhafteten Grete Bloch und deportierten sie nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Ein Stolperstein vor ihrem ehemaligen Wohnsitz am Lietzenseeufer 5 in Berlin erinnert heute an Grete Bloch.
Die ADREMA nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der Zerstörung Moabits und der ADREMA-Gebäude nahm das Unternehmen 1945 unter der Leitung der amerikanischen
Alliierten mit 30 seiner früheren Mitarbeiter*innen die Arbeit für Aufräumarbeiten sowie die Produktion von Spielzeug und
Haushaltsgeräten wieder auf. Ab 1946 wurden alte ADREMAMaschinen instandgesetzt, nun bereits mit 174 Angestellten
(112 Männer und 62 Frauen). 1953 wurde die Instandsetzung des Fabrikgebäudes abgeschlossen und ein neues Verwaltungsgebäude
errichtet. Die ADREMA konnte wieder internationale Erfolge verzeichnen, einschließlich Expansionen nach China,
Südamerika und in die USA. 1961 wurde die ADREMA von der amerikanischen Pitney-Bowes Inc. aus Stamford, dem führenden
Hersteller von Frankiermaschinen, übernommen. Die ADREMA etablierte sich erneut als attraktiver Arbeitgeber. Ein
aktiver Betriebsrat der IG Metall und eine Tarifbindung im Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie gewährleisteten
finanzielle Sicherheit und gute Arbeits- sowie Lebensbedingungen für die Beschäftigten. Zudem erhielten sie u.a.
Weihnachtsboni und Geldprämien für Betriebsjubiläen, die die Bindung an das Unternehmen stärkten. Als das Berliner
ADREMA-Werk 1975 geschlossen wurde, handelte die IG Metall für die ADREMA-Beschäftigten eine Abfindung in Höhe von 5,5
Millionen DM aus. 1976 eröffnete in den ehemaligen Räumlichkeiten der ADREMA das Kaufhaus „Möbel Adam“, 2003 dann
nach Um- und Neubauten das adrema-hotel.
In der Zwischenzeit behielt Moabit seinen Charakter als Arbeiterviertel. In den 1960er-Jahren ließen sich hier zahlreiche Arbeitsmigrant*
innen nieder. Die im Krieg größtenteils beschädigten Mietskasernen aus dem frühen 20. Jahrhundert wurden lediglich
provisorisch instandgesetzt, um dem massiven Mangel an Wohnraum entgegenzuwirken.